Marginalisierung der Rechtschreibung

„Gutes Deutsch in Wort und Schrift
gehört zu den Schlüsselqualifikationen,
die für ein erfolgreiches Leben notwendig
sind. Diesen Satz würden wohl
alle Leser des WORTSPIEGEL ohne
Bedenken unterschreiben. Bei der
Frage, was ist gutes Deutsch, gehen
die Meinungen jedoch auseinander.
Im komplexen Gefüge der deutschen
Sprache werden je nach Zeitgeist
oder persönlichen Präferenzen
unterschiedliche sprachliche Fertigkeiten
als bedeutend erachtet. Aus gutem
Grund hat das Lesen inzwischen höchste
Priorität und tatsächlich hat sich laut
PISA-Studie auch die Lesekompetenz
der 15-Jährigen in Deutschland
zwischen 2009 und 2016 erheblich
verbessert. Die Basiskompetenz
Rechtschreibleistung hingegen hat sich
im gleichen Zeitraum verschlechtert 2).
Der Anteil, den die steigende Zahl von
Migranten in unseren Schulen zu diesem Abwärtstrend beiträgt, ist nicht so groß
wie vielfach angenommen. Zu Recht jedoch kritisieren Lehrerverbände die Marginalisierung der Rechtschreibnote und dadurch der Rechtschreibung durch das Bildungsministerium. Selbst bei
mangelhaften Rechtschreibkenntnissen können Schüler eine gute Note in Deutsch erhalten. Sekundarschulen legen heute den Fokus auf kreative und frei geschriebene Texte 3). Neue Formate der
Leistungsbewertung wie Gruppenreferate und Projektarbeiten treten an die Stelle von Klassenarbeiten und selbst bei diesen wird die Rechtschreibleistung immer weniger
berücksichtigt. Dazu kommt, dass Schüler der Sekundarstufen häufig nicht über die im Lehrplan geforderten Rechtschreibkenntnisse verfügen. In vielen Grundschulen werden immer
noch Methoden eingesetzt, die erst sehr spät – manchmal zu spät – die Rechtschreibung einüben. Lehrer beklagen, dass die Schüler sich nicht mehr bemühen, richtig zu schreiben, weil dies keinen
Einfluss auf die Deutschnote habe. Rechtschreiben lernen wird als überflüssig und unnötige Quälerei abgetan.
Dabei ist der mehr als 100 Jahre dauernde Prozess hin zur einheitlichen deutschen Rechtschreibung keine Erfindung pedantischer Sprachwissenschaftler
und Pädagogen, sondern fundamental für die bessere Lesbarkeit und das leichtere Schreiben von Texten. Allein das Weglassen der Satzzeichen kann die Lesbarkeit drastisch verschlechtern. Vor
allem bei Anfängern, Nicht- Muttersprachlern und jungen Menschen
mit einer Lese-Rechtschreib-Schwäche erhöhen feste Schriftbilder, also orthografisch richtig und immer gleich Geschriebenes, die Merkfähigkeit. Die korrekte Rechtschreibung trägt dazu
bei, dass im mentalen Lexikon Wörter und Wortgruppen schneller abgespeichert und automatisiert werden. Das Lesen und Schreiben kann zügiger und sicherer erlernt werden. Auch Eltern unterschätzen
den Stellenwert der Rechtschreibung beim Erwerb von guten deutschen Sprachkompetenzen. Zudem wiegen sie sich aufgrund der guten Deutschnoten in Sicherheit und glauben sogar, dass die digitalen
Medien das Rechtschreibkönnen überflüssig
machen würden.
Die Geringschätzung der Rechtschreibung in Schule und Alltag steht im Gegensatz zu der Tatsache, dass im öffentlichen Raum und im Beruf die Rechtschreibung einen hohen Stellenwert genießt. Nur
wer fehlerfrei schreiben kann, wird dort wertgeschätzt. Wer Rechtschreibfehler macht, wird als weniger kompetent und intelligent wahrgenommen. Das tut vor allem den jungen Menschen mit LRS weh.
Sie sind es auch, die am meisten unter der Marginalisierung des Rechtschreibens leiden. Denn gerade sie brauchen Struktur beim Lese- und Schreiblernprozess, viel Zeit für das Automatisieren des
altersgemäßen Wortschatzes und einen kleinen Anstoß durch wertschätzende, der Leistung angemessene Noten. Seit der Gründung des ersten LOS 1982 gibt es diese fatale Tendenz, dass Rechtschreibung
mehr und mehr marginalisiert und die Rechtschreibleistung unserer jungen Menschen immer schlechter wird – bei gleichbleibend guten Deutschnoten. Selbst Schüler mit einer durch normierte Tests
nachgewiesenen LRS haben gute Noten in Deutsch und verlassen die Schule dann mit einem guten Abschluss, aber mangelhaften Rechtschreibkenntnissen. Gute Deutschnoten, Notenschutz und
Nachteilsausgleich sind zugegebenermaßen Mittel, um die lese- rechtschreibschwachen Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern temporär zu entlasten. Wenn aber eine parallel laufende Förderung
im Lesen und Schreiben von Eltern wegen der „zu“ guten oder fehlenden Deutschnote nicht als notwendig angesehen wird, haben die
betroffenen jungen Menschen oft ein Leben lang mit den Folgen zu kämpfen.
Üben üben üben – damit die Wirkung nicht verpufft

Alex hatte eine massive Lese-Rechtschreib-Schwäche – LRS. Er war ein sogenannter Legastheniker. Im Diktat schrieb er Fünfer und Sechser und er bekam auch Notenabzüge für seine schlechte Rechtschreibung in anderen Fächern. Hausaufgaben und erst recht das Lesen waren eine Qual. Für das Gymnasium reichten seine Noten daher am Ende der Grundschule nicht.
(Prof. Dr. Christa Kilian-hatz)
Höchste Perfektion wird natürlich meist nicht schon im Grundschulalter, sondern erst nach circa 10.000 Übungsstunden erlangt. Diese Beobachtung wurde in der berühmten „10.000-Stunden-Regel“ festgehalten. Dabei ist es einerlei, ob es sich um Spitzenleistungen etwa in Mathematik, in Musik oder im Sport handelt. Nur wer viel und lange trainiert, wird also mit Erfolg belohnt! Und selbst die ganz Erfolgreichen üben noch intensiv weiter, damit ihr Können nicht verloren geht. Dieses bewährte Erfolgsrezept würde auch sicher niemand bestreiten wollen. Nur durch ständige Wiederholungen lernt das Gehirn und kann neuronale Vernetzungen bilden. Erst über solche festen Vernetzungen können Informationen dann schnell und verlässlich abgerufen werden. Sicher, Talent hilft und damit geht das Lernen schneller! Doch die Ausbildung einer guten Vernetzung braucht vor allem Zeit und Übung! Die Wissenschaft ist sich darin längst einig, dass Lernerfolg zwar von vererbtem Talent, doch auch wesentlich vom Fleiß und der Dauer des Übens abhängt – je mehr geübt wird, umso höher ist der Erfolg.
Lesen Sie mehr im WORTSPIEGEL 2/2018
Was Eltern von einer Förderung erwarten und was ihnen am LOS gefällt

Eltern wurden für die LOS-Studie II zu ihrer Meinung befragt
Eltern von Kindern mit Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten stehen nicht nur vor der Frage, ob eine Förderung notwendig ist. Sie müssen auch klären, welche Förderung die beste für ihr Kind ist. Für die LOS-Studie II wurden 1420 Elternfragebögen anonym ausgewertet. Sie zeigen, warum LOS-Eltern ihre Kinder zu einer Förderung angemeldet haben und was ihnen am LOS gefällt.
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33 Prozent der Eltern geben an, dass ihr Kind bei der Anmeldung im LOS eine schlechte Deutschnote hatte. Durchschnittlich liegt das Alter der LOS-Anfänger bei fast 12 Jahren und ihre Note bei 3,6. Was veranlasst Eltern außer der Deutschnote zur Entscheidung für die Förderung durch LOS?
LRS-Therapie: Förderung in der Gruppe
Warum sich die LOS für die Gruppenförderung entschieden haben

Es ist ein Trugschluss, dass Einzel-unterricht die individuellen Bedürfnisse lese- und rechtschreibschwacher Kinder und Jugendlicher in höherem Maße berücksichtigt als Gruppenunterricht. Gruppenunterricht schafft aus sozialer und lernpsychologischer Sicht Rahmen-bedingungen, die Betroffenen helfen, sich im Alltag zurechtzufinden. Einzelunterricht kann das nicht leisten. (Sylvia Heesch)
Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben werden insbesondere in der Schule offenbar. Schüler mit Problemen im Schriftspracherwerb erleben im Kontext Schule täglich, dass sie in diesem Bereich anders sind als andere.
Eine pädagogische Therapie der Lese-Rechtschreib-Problematik sollte daher auch die Anforderungssituationen und Besonderheiten der Situation in der Schule berücksichtigen, mit der die Kinder und Jugendlichen zurechtkommen müssen. Schülerinnen und Schüler mit Problemen im Lesen bzw. Schreiben müssen auch lernen, in der Schule zurechtzukommen, sich zu konzentrieren, weniger ablenken zu lassen, im Team zu arbeiten und sich etwas zuzutrauen – vor den Augen und Ohren der anderen Schüler und vor denen des Lehrers. Die meisten Kinder und Jugendlichen mit LRS zweifeln an sich und ihren Fähigkeiten, wenn sie ins LOS kommen. Viele halten sich für dumm und sagen das auch deutlich.
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Jugendhilfeträger dürfen Förderung bei Legasthenie nicht für Eltern aussuchen
Eltern genießen Freiheit bei der Wahl der passenden Förderung

In bestimmten Fällen haben Kinder mit Legasthenie Anspruch darauf, dass der Jugendhilfeträger die Kosten für eine Therapie übernimmt. Das gilt als sogenannte Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Diese wird Schülern gewährt, die die Legasthenie derart beeinträchtigt, dass ihre seelische Gesundheit für mindestens sechs Monate von der ihrer Altersgenossen abweicht, und deren Teilhabe am Leben in der Gesellschaft in Gefahr ist. Was viele nicht wissen: Jugendhilfeträger dürfen Anbieter einer Therapie nicht grundsätzlich ablehnen, weil sie nicht durch eine Vereinbarung über die Höhe der Kosten mit ihnen kooperieren.
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Verzweifelten Eltern und Kindern Mut machen
Ein Interview mit einer langjährigen LOS-Leiterin

Seit mehr als 25 Jahren arbeitet Kathrin Tantu als Leiterin des LOS Mannheim. In dieser Zeit hat sie viel erlebt. Sie kennt die Situation besorgter Eltern und entmutigter Kinder und kann sich gut in sie hineinversetzen. Im Interview erklärt sie, wie sie zu LOS gekommen ist und wie Lehrer verzweifelten Eltern und Kindern begegnen sollten. Sie erzählt von ihren Erfahrungen mit der LOS-Methode und gibt Tipps für Eltern, wie sie mit den Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten ihrer Kinder umgehen sollten.
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