20 Jahre Leitung des LOS Erfurt
Zum Abschied ein dankbarer Blick auf das gemeinsam Erreichte

Ganz wohl war mir nicht, als ich am 1. Oktober 1997 um 07:30 Uhr zum ersten Mal als Leiterin am Schreibtisch des damals neu eröffneten LOS in Erfurt saß. Ich hatte
Bedenken, ob sich in der Stadt überhaupt genug junge Menschen zur Förderung anmelden würden. Nur wenige Minuten danach kam der erste Anruf und wenige Tage später war ich vom Gegenteil überzeugt.
Tausenden Kindern konnten wir in den zurückliegenden 20 Jahren helfen. Jetzt heißt es für mich als Leiterin des LOS
Erfurt, Abschied zu nehmen – Zeit für einen Blick zurück.
Ich merkte damals schnell, dass auch Kinder mit Lese-/Rechtschreib-schwäche schlaue Köpfe sein können. In der Aus- und Weiterbildung durch den LOS-Verbund hatte ich gelernt, wie ich ihnen dabei helfen kann, ihr Potenzial auszuschöpfen. Ich weiß nicht, wie oft ich den Satz „Ich kann das einfach nicht!“ beim ersten Gespräch mit den Kindern gehört habe. Fast immer gelang es uns, die Resignation in Optimismus zu verwandeln. Die Schwierigkeiten der jungen Menschen lösen sich natürlich nicht in Luft auf. Aber die Kinder machen durch die Förderung große Fortschritte und wissen, dass auch sie einen Weg aus dem Labyrinth der Rechtschreibung finden können. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein und sie gewinnen die Freude am Lernen zurück. Ich habe viele Fälle erlebt, in denen das verhasste Fach Deutsch am Ende sogar zum Lieblingsfach wurde. Der größte Dank ist für uns Lehrer das Strahlen eines Kindes, wenn es merkt, dass es nun Dinge kann, die früher unüberwindbare Hindernisse dargestellt hätten. Wie ist so etwas zu schaffen? Nun, wir Lehrer im LOS sind ebenso wenig Hexen und Zauberer wie die Lehrer in der Schule. Aber wir haben ihnen gegenüber mehrere Vorteile – das spezielle Förderkonzept des LOS, die Unterrichtsmaterialien, die kleinen Lerngruppen, aber vor allem das, was in den Schulen am meisten fehlt: Zeit, die es den Kindern ermöglicht, ihre noch nicht vollständig vollzogenen Lernschritte nachzuholen. Die Kinder lernen bei uns nicht unter Druck. Und sie lernen in einer Atmosphäre, in der sie keine Ausnahme sind, sondern in der die anderen Schüler ähnliche Probleme haben wie sie selbst. Das habe ich in den 20 Jahren, die ich Leiterin des LOS bin, als große Entlastung für die Kinder und Jugendlichen wahrgenommen. Ich würde durchaus sagen, dass wir in den LOS ein kleines, perfektes Lernumfeld haben.
Es ist schön zu sehen, dass der jahrelange Eindruck, den ich – wie viele Kollegen – habe, mich nicht getäuscht hat. Die LOS-Studie II hat gezeigt, dass die LOS-Methode tatsächlich
so wirksam ist, wie wir Lehrer sie über Jahre wahrgenommen haben. Das ist eine Erkenntnis, die mich zum Ende meiner Zeit im LOS besonders freut. Jungen Menschen eine positive Lebensperspektive zu
eröffnen, hat mich immer glücklich gemacht. Insofern schaue ich auch
mit etwas Wehmut zurück.
Der Abschied fällt mir aber leichter, weil ich weiß, dass mein LOS Erfurt in gute Hände übergeben wird und die Arbeit für Menschen mit Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten unverändert weitergeht.
Zum Schluss möchte ich meinen – teils langjährigen – Kollegen und allen anderen danken, die mit mir zusammengearbeitet und mich unterstützt haben.
Ein herzlicher Dank geht auch an den LOS-Verbund, der mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand und nicht zuletzt meinen Schritt in die Selbstständigkeit zu einem vollen Erfolg gemacht
hat.
Wegen LRS nun auch in Englisch eine Fünf?
Schrift als Lernhindernis
Junge Menschen, die an Lese-/Rechtschreibschwäche leiden, benötigen einen Förderunterricht, der alle Stufen des Schriftspracherwerbs berücksichtigt und an den individuellen Defiziten der jungen Menschen ansetzt. Gleiches gilt für die Förderung beim Fremdsprachenlernen. Dennoch liegen sogar für die Weltsprache Englisch überwiegend unzureichende Fördermaterialien im deutschsprachigen Raum vor. Sie gehen oft nicht über reines Vokabel- bzw. Wortschatztraining hinaus. Für Prof. Dr. Christa Kilian Hatz war diese Bestandsaufnahme Anlass, zu erforschen, wie guter Englisch-Förderunterricht für junge Menschen mit LRS aussehen muss. Die Lerntherapeutin und Linguistin ist Professorin am Institut für Afrikanische Sprachwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt und leitet die LOS Frankfurt-Bornheim und Dietzenbach. Mit ihrem Werk schließt sie konzeptuelle Lücken und prüft vorhandenes Fördermaterial auf seinen pädagogischen Wert. In mehreren WORTSPIEGEL-Ausgaben stellt die Wissenschaftlerin ausgewählte Themen aus ihrer Arbeit vor. Diesmal:
Definition von Lese-/Rechtschreibschwäche (LRS)
Die gängigen Definitionen der WHO sind medizinischer Art. Sie unterscheiden zwei unterschiedliche Formen der Entwicklungsstörung: die umschriebene Lese-/ Rechtschreibstörung (F81.0) und eine Rechtschreibstörung ohne Leseschwierigkeiten (F81.1). Diese Unterscheidung ist für die Konzeption und Effektivität einer symptombezogenen Therapie jedoch irrelevant. Daher bietet es sich – auch bezogen auf die englische Sprache – an, eine umfassendere pädagogische Definition zugrunde zu legen, die sich an der orientiert, die Esser, May und Meiers (2013) für die deutsche Sprache formuliert haben: „Unter Lese-/Rechtschreibschwäche (LRS) verstehen wir eine Form von Schwierigkeiten beim Erwerb der Fähigkeit, die deutsche Sprache hörend, sprechend, lesend und schreibend kompetent zu gebrauchen.“ Bereits angesichts dieser Definition lässt sich erahnen, dass auch das Erlernen von Fremdsprachen für Menschen mit LRS nicht reibungslos abläuft.
Schriftspracherwerb und Förderung nach dem Stufenmodell
Der Schulunterricht beginnt zu einem Zeitpunkt, zu dem der natürliche Spracherwerb des Deutschen in seinen Grundzügen weitgehend abgeschlossen ist. Er wiederholt im Prinzip die bereits
erfolgreich abgelaufenen Entwicklungsstufen dieses (Sprech-) Spracherwerbs und
lehrt die Verschriftlichung. Der Schriftspracherwerb wird im Rückgriff auf Uta Frith (1985) noch immer in drei Stufen gegliedert: Die erste ist die logografische (oder logographemische)
Stufe, in der vertraute und emotional bedeutsame Wörter anhand ihrer visuellen Merkmale
„wie ein Logo“ erkannt werden. Die zweite ist die alphabetische Stufe. Hier wird das Strukturprinzip der Aneinanderreihung einzelner lautunterscheidender Einheiten
und ihrer Laut-Buchstaben-Zuordnung erkannt. Die letzte Stufe ist die orthografische Stufe, die entscheidend für das normgerechte Schreiben ist und in der rekurrente Buchstabenfolgen und Morpheme
sowie die Konventionen und Regeln erkannt werden.
...

Eltern vergeben Top-Noten für die Förderung durch LOS
93 Pozent der Eltern würden ihr Kind wieder anmelden

Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Entsprechend kritisch prüfen sie auch die Förderung, die ihr Kind erhält, wenn es Schwierigkeiten beim Lesen und
Schreiben hat. Die LOS-Studie II hat deshalb nicht nur die Wirksamkeit der LOS-Methode ermittelt, sondern auch 1.420 Eltern mithilfe eines Fragebogens zu ihrer
Zufriedenheit mit der Förderung durch LOS interviewt. Dabei stellte sich heraus: 93 Prozent der Eltern geben an, dass sie ihr Kind wieder bei LOS anmelden würden. Auch die Rahmenbedingungen
des Unter-richts bewerten die Eltern durchweg positiv.
Auch Kinder mit Legasthenie erzielen mit LOS-Methode große Erfolge
Nach drei Jahren deutliche Verbesserungen messbar

Kinder mit Legasthenie leiden unter massiven Lese-/ Rechtschreibschwierig-keiten. Ihre Leistungen im Lesen und Schreiben sind extrem schwach, was sich
auch auf die Schulnoten und das Selbstbe-wusstsein der Kinder auswirkt. Trotzdem sind Eltern dieser Schülergruppe besonders zögerlich, was die Anmeldung zu einer Förderung betrifft. Bei
Kindern mit lediglich unterdurchschnittlichen Leistungen ist
der Anteil der Eltern, die ihre Kinder zur Förderung anmelden, höher. Der Grund: Allgemein wird nicht davon ausgegangen, dass Kinder mit Legasthenie durch Fördermaßnahmen nennenswerte Erfolge
erzielen können. Das gilt jedoch nicht für alle Förderungen, wie die LOS-Studie II nun ergab. So sind durch die LOS-Methode bei Kindern mit Legasthenie deutliche Verbesserungen messbar.
Germanistikprofessor findet heraus:Richtig zu schreiben spielt in deutschen Grundschulen kaum eine Rolle

Dass die Rechtschreibleistungen junger Menschen immer mehr abnehmen, beklagen vor allem Ausbildungsbetriebe.
Die Ursache für mangelnde Rechtschreib-kenntnisse wird in den Grundschulen vermutet. Dass dort tatsächlich etwas schiefläuft, wurde nun durch eine jüngst veröffentlichte Untersuchung des
Germanistikprofessors Wolfgang Steinig bestätigt. Für sein Buch „Grundschul-kulturen: Pädagogik – Didaktik – Politik“ erforschte er, wie in deutschen Grundschulen gearbeitet wird. Er fand
heraus, dass viele Grundschullehrer keinen großen Wert auf die Rechtschreibung ihrer Schützlinge legen. Diese Marginalisierung der Rechtschreibung beklagen die LOS bereits seit vielen Jahren.
In den 80er-Jahren erfand der Schweizer Reformpädagoge Jürgen Reichen die nach ihm benannte Reichen-Methode, der zufolge Schüler in den ersten Schuljahren nach Gehör schreiben sollen. Mithilfe
einer Anlauttabelle, die jedem Buchstaben des Alphabets ein Bild –
zum Beispiel dem Buchstaben „A“ die Zeichnung eines Affen – zuordnet, sollen die Kinder Laute, wie sie sie hören, in Buchstaben verwandeln und dann zu Papier bringen. Die Fähigkeit des Lesens
soll sich dabei automatisch entwickeln. Das Problem dabei: Laute und Buchstaben lassen sich einander nicht immer eindeutig zuordnen – ein Umstand, auf den auch Steinig hinweist. So korrespondiert
der Anlaut „i“ sowohl mit dem „Indianer“ als auch mit dem „Igel“, obwohl Letzteres sich wie ein „ie“ anhört. Dialektale Färbungen tun ihr Übriges. Der Satz „Lezdess Ja waisch in Ualaup“ wäre nach
der Reichen-Methode eine akzeptable Leistung für einen jungen Lerner. Denn korrigiert werden soll die Schreibung nach dieser Methode in den ersten Jahren nicht, damit die Kinder den Spaß am
Schreiben nicht verlieren. Falsche Schreibweisen, die sich Kinder einmal angewöhnt haben, sind später aber nur schwer
zu beseitigen. Umgekehrt hat die LOS-Studie II gezeigt: Je früher die Schüler im LOS nach einer strukturierten Methode und klaren Regeln Rechtschreibroutinen aufbauen, desto besser sind die
Ergebnisse der Förderung.
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